conflict & communication online, Vol. 13, No. 1, 2014
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ISSN 1618-0747

 

 

 

Marianne Müller-Brettl (2013): Mein Freund zieht in den Krieg. Ein Streitgespräch über Kriege und die Schwierigkeit, sie abzuschaffen. Mit einem Vorwort von Andreas Buro. Stadthaus-Verlag, Blankenfelde. ISBN 978-3-922299-40-0, 106 S., 11,90 € .

Die meisten Menschen dürften von einer tiefen Friedenssehnsucht beseelt sein und auch wissen, dass der Einsatz von Militär in der Regel vor allem Leid und Zerstörung zur Folge hat, und Krieg folglich ablehnen. Seit der Epochenwende von 1989/90 begrüßen andererseits oder fordern gar zunehmend auch Jüngere immer wieder solche Einsätze, insbesondere wenn sie „humanitär“ begründet daherkommen. Diese Widersprüchlichkeit wird irgendwie zusammengehalten durch diffuse Sicherheitsängste in Verbindung mit konventionellen Sicherheitsvorstellungen und einen tief verwurzelten Glauben an „gute Gewalt“.

Mit dieser mentalen Zurichtung setzt sich die Autorin in origineller, im Ansatz literarischer Weise auseinander: in Form eines „Streitgesprächs“ zwischen einer offensichtlich friedenspolitisch engagierten und bestens informierten Großmutter und ihrer achtzehnjährigen Enkelin als Trägerin dieser Mentalität. Anlass des Gesprächs ist die Meldung des Freundes der jungen Frau, eines Bundeswehrsoldaten, als Freiwilliger zum Einsatz in Afghanistan. Dieser Einsatz bleibt auch der Bezugsrahmen – bis die Enkelin zum Ende der Geschichte ihrer Großmutter weinend zu verstehen gibt, dass ihr Freund „so verändert“ aus dem Einsatz zurückgekommen ist, sie „geschlagen“ hat... (S. 106).

Die spezifische affektive Färbung der Rahmengeschichte hätte vielleicht eine therapeutische Gesprächsführung erwarten lassen oder doch einen (neo-)sokratischen Ansatz. Der Autorin, als Psychologin selbst seit rund dreißig Jahren friedenswissenschaftlich aktiv, ging es aber darum, wie sie in der Einleitung ausdrücklich erklärt, Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeit „in unterhaltsamer Form einem breiteren Publikum zugänglich zu machen“ (S. 18). Bei diesem Kommunikationsziel ist der Modus „Streitgespräch“ konsequent. Jedenfalls erlaubt dieser Modus, manche grundlegende friedenswissenschaftliche Erkenntnis über „Entstehung und Funktion von Kriegen, Sinn und Unsinn militärischer Interventionen, Probleme unseres Sicherheitsdenkens, die Ursachen von Massentötungen, die Motivation von Soldaten und die Veränderung von Werten in Kriegssituationen“ (ebd.) zu bedenken zu geben – und nicht zuletzt einen friedenswissenschaftlich aufgeklärten mainstreamkritischen Blick auf zeitgeschichtliche Entwicklungen zu werfen.

Die Gegensätzlichkeit der Positionen der beiden Protagonistinnen in der Sache bedroht übrigens – trotz der einen oder anderen Frotzelei – an keinem Punkt der Auseinandersetzung ihre von Wohlwollen und Vertrauen geprägte Beziehung. Diese Konstruktion mag zu ideal erscheinen, um „zu vielen ähnlichen Gesprächen zwischen den Generationen an(zu)regen“, wie es sich Andreas Buro in seinem Vorwort wünscht (S. 11). Vielleicht würde auch eine im Hinblick auf emotionale Verwicklung und fachliche Kompetenz eher symmetrische Konstellation bessere Identifikationsmöglichkeiten bieten. Offen zugunsten der Glaubwürdigkeit bleibt demgegenüber der Fortgang der Geschichte. Ob also das aufklärerische Bemühen der Großmutter Früchte zeitigt, die über gelegentlich vermerkte Nachdenklichkeit der jungen Frau hinausgehen, steht dahin. Insbesondere bleibt dahingestellt, ob die emotionale Betroffenheit der Enkelin infolge der einsatzbedingten Veränderung des Freundes ein einstellungsrelevantes „Aha“ zur Folge hat.

Der von Müller-Brettel vorgelegte schmale Band ist ein interessanter Versuch, grundlegende konflikt- und friedenswissenschaftliche Erkenntnisse einem breiteren Publikum zu vermitteln; er könnte Kollegen und Kolleginnen, die eine literarische Ader bei sich verspüren, zu ähnlichen Versuchen inspirieren. Was Buro in seinem Vorwort an die Adresse der Friedensbewegung moniert, scheint mir im Übrigen auch für die Community bedenkenswert­: Wir wissen zu wenig Genaues von der Friedens- und Sicherheits-„Logik“ von Herrn Jedermann und Frau Jedefrau – und interessieren uns wohl auch zu wenig dafür –, um „auf Augenhöhe“ grundsätzlich gegen militärische Gewalt und Gewaltvorbereitung oder doch wenigstens gegen die „Zweite Remilitarisierung“ der Republik wirksam mobilisieren zu können
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Albert Fuchs

 

 

     
 

Über den Autor: Albert Fuchs, Prof. Dr. phil., war Hochschullehrer für Kognitions- uns Sozialpsychologie und psychologische Methodenlehre, ist Mitglied des Forum Friedenspsychologie und des Instituts für Friedensarbeit und gewaltfreie Konfliktbearbeitung, in der Friedensbewegung engagiert u.a. bei Pax Christi.

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