conflict & communication online, Vol. 10, No. 1, 2011
www.cco.regener-online.de
ISSN 1618-0747

 

 


Editorial

 

 


Mit dem vorliegenden Heft startet conflict & communication online in das zehnte Jahr seines Erscheinens. Was wollten wir mit der Zeitschrift auf den Weg bringen und was haben wir in den Jahren seit 2002 tatsächlich erreicht?
Vier Dinge waren für die Gründung der Zeitschrift ausschlaggebend gewesen: (1) das Fehlen einer im deutschen Sprachraum erscheinenden, referierten und transdisziplinären friedenswissenschaftlichen Zeitschrift, (2) der Wunsch, einen Beitrag zur Demokratisierung von Wissenschaft zu leisten, (3) das Unbehagen am Publikationsformat der meisten Mainstream-Journals und (4) das Bestreben, eine friedenswissenschaftliche Grundlagenforschung zu fördern.
Keine der beiden großen, bereits seit 1983 in Deutschland erscheinenden friedenswissenschaftlichen Fachzeitschriften hatte zu diesem Zeitpunkt ein Peer-review-Verfahren eingeführt. Wissenschaft & Frieden ist zwar transdisziplinär ausgerichtet, kennt ein solches Verfahren jedoch bis heute nicht, und Sicherheit und Frieden ist eine dezidiert politikwissenschaftliche Zeitschrift, die erst seit ihrer Umstrukturierung, 2004, zumindest einen Anteil an referierten Aufsätzen publiziert.
Auch wenn conflict & communication online damit zunächst eine Lücke auf dem deutschen Fachzeitschriftenmarkt ausfüllt, war das Profil der Zeitschrift jedoch von vornherein darauf ausgerichtet, nicht lediglich nationales, sondern internationales Profil zu gewinnen. Deshalb arbeiten wir sowohl mit Deutsch als auch Englisch als Publikationssprachen. Die Entscheidung darüber, in welcher der beiden Sprachen ein Aufsatz publiziert wird, bleibt dem Autor überlassen. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden die seit 2004 erscheinenden Rezensionen, die immer in der Sprache des rezensierten Buches publiziert werden.
Tatsächlich scheinen wir ein recht ausgewogenes Verhältnis von deutschen und internationalen Beiträgen gefunden zu haben. Von den 87 Originalartikeln, die in den ersten neun Jahrgängen der Zeitschrift erschienen sind, wurden 23% in deutscher Sprache, 75% auf Englisch und 2% in beiden Publikationssprachen veröffentlicht. 35% der Autoren stammten aus Deutschland, die Mehrheit von 65% aus anderen Ländern, und zwar aus den USA (12), aus Israel (9), aus Australien (5), aus Großbritannien und Norwegen (je 4), aus Schweden und der Schweiz (je 3), aus Finnland (2), aus Costa Rica, Griechenland, Kanada, Kirgisistan, Kolumbien, Österreich, Uganda und Usbekistan (je 1).
Auch die Leserschaft der Zeitschrift ist weltweit gestreut. Die Downloadzahlen sind seit 2002 kontinuierlich gestiegen und lagen 2009 bei mehr als 130.00 Seitenaufrufen von ca. 70.000 Besuchern aus Deutschland, Österreich, den USA, Australien, Großbritannien, der Schweiz, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, Israel, Malaysia, Irland, Kanada, Belgien, Finnland, der Türkei, Japan, Griechenland, Italien, Südafrika, Tschechien, Frankreich, Neuseeland, der Ukraine, Indien, Polen, China, Russland, Portugal, Ungarn, Dänemark, Taiwan, Bulgarien, Rumänien, Kirgisistan, Spanien, Indonesien, Singapur und weiteren Ländern (in Reihenfolge ihrer Häufigkeit).
Notwendige Voraussetzung für die Demokratisierung von Wissenschaft in einer globalisierten Welt ist der freie Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die großen Verlagskonzerne nützen ihre Monopolstellung auf dem Fachzeitschriftenmarkt geradezu schamlos aus und treiben die Zeitschriftenpreise in Höhen, die nicht nur von Universitäten in der III. Welt, sondern selbst von jenen in den europäischen Metropolen nicht oder kaum noch bezahlbar sind. Die Unzufriedenheit damit hat uns veranlasst, conflict & communication online als Open-access-Zeitschrift zu gestalten, was damals noch ein rechtes Novum war. Ermöglicht wurde dies durch die Veröffentlichung der Zeitschrift als elektronisches Online-Journal und die Zusammenarbeit mit dem verlag irena regener berlin, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Qualitätsstandards jenseits des Mainstreams zu setzen. Inzwischen wurde das Problem aber auch von einflussreichen Förderinstitutionen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem International Network for the Availability of Scientific Publications (INASP) erkannt, mit deren Unterstützung sich das Open-access-Konzept zu einer Art Massenbewegung entwickelt hat, die eine echte Alternative zu den Mainstream-Journals der Großverlage bietet.
Nicht weniger verhängnisvoll als die Monopolstellung der großen Verlagskonzerne ist das Publikationsformat der meisten Mainstream-Journals, das eine Fragmentierung wissenschaftlicher Publikationen in immer kleinere und kleinste Teilergebnisse geradezu vorprogrammiert und dazu geführt hat, dass bei wissenschaftlichen Publikationen und deren Bewertung an Stelle der Qualität immer mehr die Quantität den Ausschlag gibt. Die Bedeutung, welche numerische Faktoren wie der Impact-Faktor und/oder der Hirsch-Faktor in den letzten Jahren gewonnen haben, begünstigt es, dass Forschungsergebnisse in immer kleinere publizierbare Einheiten zerstückelt werden und viele der Mainstream-Publikationen an einem verhängnisvollen Theoriedefizit leiden. Inzwischen hat diese Fragmentierung ein solches Ausmaß erreicht, dass sich die DFG kürzlich gezwungen sah, gravierende Maßnahmen dagegen zu ergreifen (Kleiner, 2010).
Ein Paradigmenwechsel, wie er von der DFG initiiert wurde, wird sich aber nur dann durchsetzen können, wenn es auch geeignete Fachzeitschriften gibt, die komplexere und umfangreichere Aufsätze veröffentlichen. Aus diesem Grunde hat conflict & communication online schon seit seiner Gründung und lange bevor die DFG nun die Initiative ergriffen hat zwei Maßnahmen gesetzt, die der Fragmentierung wissenschaftlicher Publikationen entgegenwirken sollen: (1) großzügige Vorgaben bezüglich des Manuskriptumfanges, der mit 5.000 bis 10.000 Wörtern deutlich höher liegt als bei den gängigen Mainstream-Journals und der darüber hinaus auch flexibel gehandhabt wird, und (2) eine Themenvorgabe, die Theorien, methodologische Ansätze und empirische Befunde der unterschiedlichsten Disziplinen, die Konflikt und/oder Kommunikation zum Forschungsgegenstand haben, zusammenführt und unter friedenswissenschaftlicher Perspektive integriert. Nicht nur angewandte Forschung zu aktuellen Konfliktfeldern, sondern zugleich auch die Etablierung einer transdisziplinären Grundlagenforschung ist es, für die sich conflict & communication online als Publikationsorgan bereitstellen will.
Wie weit diese Transdisziplinarität tatsächlich realisiert wurde, lässt sich nur schwer beurteilen. Die disziplinäre Herkunft unserer Autoren ist nur ein sehr grober Indikator dafür, sie lässt aber doch erkennen, dass conflict & communication online über disziplinäre Grenzen hinweg rezipiert und genutzt wird: 45,5% der Autoren, die in den ersten neun Jahrgängen der Zeitschrift publiziert haben, hatten ihren primären Hintergrund in Journalismus, Medien und Kommunikationswissenschaften, 27,3% in Psychologie und 16,9% in Politikwissenschaften. Die restlichen 10,3% verteilten sich auf Sprachwissenschaft, Erziehungswissenschaft und Soziologie. In thematischer Hinsicht hatten 63,9% der Aufsätze ihren Fokus auf empirischen und experimentellen Studien, 31,3% auf theoretischen Fragen und 4,8% auf Methodologie und Methodenentwicklung.
Ein Paradigmenwechsel wie der oben angesprochene vollzieht sich nicht einfach von heute auf morgen, sondern setzt bei Autoren und Lesern, bei Herausgebern und Reviewern einen Lernprozess voraus. Die Fragmentierung wissenschaftlicher Publikationen ist der gesamten scientific community inzwischen so sehr ins Blut übergegangen, dass es vielen oft schwer fällt, die Geduld aufzubringen, welche erforderlich ist, um komplexere und umfangreichere Aufsätze durchzuarbeiten. Und solche Aufsätze zu verfassen, impliziert erst recht, dass man sich von gängigen Publikationsschemata lösen und kreative neue Formen finden muss.
Wie weit uns dies bisher gelungen ist, mag der Leser selbst beurteilen. Erste Schritte haben wir sicher schon geleistet. Aber es liegt noch ein langer Weg vor uns.

Konstanz - Berlin
im März 2011

Wilhelm Kempf

Literatur

Kleiner, Matthias (2010)).Qualität statt Quantität. Die Publikationsflut schadet der Wissenschaft. Die DFG antwortet nun auf ihre Weise: Unsere verbindlichen Regeln für Literaturangaben in Förderanträgen und Abschlussberichten sind ein Paradigmenwechsel. Forschung 1/2010, 2-3.


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