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conflict & communication online, Vol. 9, No. 1, 2010 www.cco.regener-online.de ISSN 1618-0747 |
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Das bessere Verständnis
und die Erforschung des Phänomens Antisemitismus stand im 20. Jahrhundert
im Zentrum des Interesses einer großen Zahl namhafter Forscher.
Nur wenige Formen der "gruppenbasierten Menschenfeindlichkeit"
haben eine vergleichbare Fülle theoretisch so ausgearbeiteter Erklärungsversuche
provoziert wie der Antisemitismus. Vor allem seine komplexe und zuweilen
widersprüchliche Erscheinungsform macht den Antisemitismus zu einer
zwar traurigen Realität, die jedoch den Wunsch, dieses besser verstehen
zu wollen, geradezu provoziert. Parallel zu den großen theoretischen
Anstrengungen zum besseren Verständnis des Antisemitismus stand er
auch im Zentrum der frühen empirischen Vorurteilsforschung (z. B.
in den Arbeiten von so namhaften Pionieren auf diesem Gebiet, wie Allport,
Berkowitz, Festinger, Frenkel-Brunswik, Levinson, Sanford, etc.). Mit
der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und den weltweiten Bewegungen
für sexuelle Gleichberechtigung (namentlich die Frauen- und Schwulen/Lesbenbewegung)
rückten andere Formen der Diskriminierung in den Vordergrund des
Interesses. So lässt sich beobachten, dass die marginale Stellung
des Antisemitismus in der empirischen Forschung in starkem Kontrast steht
zu der sehr produktiven Entwicklung theoretischer Entwürfe zu Natur
und Wesen des Antisemitismus. Eine Suchanfrage im Web of Science®
unterstützt die Behauptung, dass die Antisemitismusforschung sich
nach wie vor an der Peripherie empirischer Forschung zur Diskriminierung
befindet. In Fachzeitschriften der Soziologie, Psychologie und verwandter
Disziplinen fanden sich 1909 eingetragene Artikel (inkl. Übersichtsartikel)
zum Begriff "racism", 656 für den Begriff "homophobia"
und 612 für den Begriff "sexism". Im Vergleich dazu erbrachte
die Suche nach dem Begriff "anti-Semitism" lediglich 208 Resultate.
In seinem Essay "Antisemitism
in youth language: the pejorative use of the terms for 'Jew' in German
and French today" analysiert Günther Jikeli Interviews, die
mit jungen Muslimen in Deutschland und Frankreich geführt wurden,
um zu bestimmen, inwiefern der Gebrauch des Begriffs "Jude"
als Schimpfwort eine willkürliche Kategorienbezeichnung darstellt
oder Verbindungslinien zu antisemitischen Gedanken aufzeigt. Während
Günther Jikeli sich also die Frage stellt, ob die Erwähnung
des Begriffs Juden den Antisemitismus automatisch mit sich bringt, geht
Björn Milbradt der Frage nach, ob es einen Antisemitismus geben kann,
der ohne die Erwähnung der Gruppe der Juden auskommt. Er richtet
die Aufmerksamkeit auf von ihm ausgemachte Grauzonen zeitgenössicher
Antisemitismusforschung: die Charakterisierung bestimmter Argumentationsmuster
als antisemitisch, auch wenn die Gruppe der Juden nicht explizit erwähnt
wird. Er greift damit eine bestehende Debatte auf, die sich unter anderem
am Begriff des "strukturellen Antisemitismus" entbrannt hatte.
Milbradt bezieht sich auf den weit verbreiteten Independent-Film "Zeitgeist",
der frei im Internet erhältlich ist, und behauptet, dass in dem Film
antisemitische Assoziationen geweckt und antisemitische Lesarten provoziert
werden, ohne jegliche explizit antisemitische Äußerungen. In
meinem eigenen Beitrag (Imhoff) beschäftige ich mich mit der Frage,
ob die theoretisch gut begründete und weithin akzeptierte Unterteilung
des modernen Antisemitismus in eine primäre und eine geschichtsbasierte
sekundäre Form empirisch haltbar ist. Wilhelm Kempf schlägt
eine neue statistische Herangehensweise an die Frage vor, ob und unter
welchen Umständen Israelkritik antisemitisch motiviert ist. Mithilfe
der latenten Klassenanalyse extrahiert er spezifische Muster anti-israelischer
Einstellungen, die einen deutlicheren Bezug zu antisemitischen Lesarten
des Nahostkonflikts aufweisen als andere. Dieser Beitrag schlägt
auch den Bogen zum letzten Artikel, der nicht der Frage nach Antisemitismus
gewidmet ist, sondern die Mediendarstellung des Nahostkonfliktes beleuchtet.
Franziska Oehmer analysiert die deutsche Berichterstattung zum Libanon-Krieg
2006 anhand dreier verschiedener Tageszeitungen, um herauszufinden ob
Israel überproportional häufig in eine Täterposition gerückt
wurde, was als Indikator einer antisemitisch motivierten Täter-Opfer-Umkehr
gedeutet werden könnte (siehe Imhoff, diese Ausgabe). Bonn - Berlin Roland Imhoff
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