conflict & communication online, Vol. 6, No. 2, 2007
www.cco.regener-online.de
ISSN 1618-0747

 

 

 

Thomas Hanitzsch
Friedensjournalismus aus Sicht der Journalismusforschung: Eine kritische Würdigung

Von den meisten Kriegen würden wir keine Notiz nehmen, wären da nicht die Journalisten, die über sie berichten, und die Medien, die ihre Korrespondeten zum Ort des Geschehens schicken. Gleichzeitig geht die Vorliebe der Medien für Kriege und Konflikte häufig zu Lasten eines positiven Beitrags zur Friedenschaffung. Das Konzept des Friedensjournalismus wird deshalb als eine Alternative zur traditionellen Kriegsberichterstattung verstanden. Der vorliegende Aufsatz macht jedoch deutlich, dass die Idee des Friedensjournalismus nur alter Wein in neuen Schläuchen ist, auch wenn mit einem durchaus noblen Ziel. Viele Protagonisten des Friedensjournalismus übersehen häufig die mannigfaltigen Nuancen im Journalismus und heben das Außergewöhnliche, Spektakuläre und Negative der Kriegsberichterstattung hervor. Sie überschätzen den Einfluss der Journalisten und Medien auf die politische Entscheidungsfindung, und sie begreifen das Publikum als eine passive Masse, die mit den Mitteln des Friedensjournalismus aufgeklärt werden muss. Darüber hinaus basiert die Idee des Friedensjournalismus weitgehend auf einer übermäßig individualistischen Sicht, wobei die strukturellen Zwänge im Journalismus aus dem Blick geraten: Hierzu zählen ungenügende personelle, zeitliche und finanzielle Ressourcen, redaktionelle Prozesse und Hierarchien, Zwänge der Nachrichtenformate, die Verfügbarkeit von Quellen sowie der Zugang zum Geschehen und generell zu Informationen. All dies deutet darauf hin, dass die Praxis des Friedensjournalismus keine Frage der persönlichen Freiheit ist. Medienstrukturen und professionelle Routinen können wohl kaum aus der Position des individuellen Journalisten heraus verändert werden. Moderner Journalismus manifestiert sich in Prozessen der organisierten Nachrichtenproduktion, wobei den organisationalen und institutionellen Faktoren Priorität eingeräumt wird, ebenso wie Prozessen der beruflichen Sozialisation. Um einen ernstzunehmenden Beitrag für die Kriegsberichterstattung und ihre kritische Reflexion leisten zu können, muss auch Friedensjournalismus die strukturellen Bedingungen im Journalismus berücksichtigen. Die Debatte um den Friedensjournalismus - und insbesondere um die praktischen Implikationen – muss an die Journalismusforschung angeschlossen werden, wo ähnliche Anstrengungen zur journalistischen Qualitätssicherung unternommen werden.

 

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Zum Autor:
Dr. Thomas Hanitzsch ist Oberassistant am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Seine Hauptarbeitsgebiete sind: komparative Medienforschung, Journalismusforschung und Kriegsberichterstattung.

Adresse: Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung, Universität Zürich, Andreasstrasse 15, 8050 Zürich,
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