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Christoph Butterwegge/Gudrun
Hentges (Hg.) Massenmedien, Migration und Integration. Wiesbaden: VS -
Verlag für Sozialwissenschaften. 2006.
Die Veröffentlichung
des von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges herausgegebenen Bandes
fällt für die Migrationsforschung in eine Zeit, in der das Thema
der Integration vers. Segregation von Migrant(inn)en in der Aufnahmegesellschaft
intensiv und besonders kontrovers diskutiert wird: Strukturelle Assimilation
sei die notwenige Bedingung einer nachhaltigen Sozial-Integration der
Migrant(inn)en, heißt es bei Vertretern (Brubaker, Alba und Nee)
des Neu-Assimilationsansatzes. Kulturelle Vorgaben des jeweiligen Aufnahmekontextes
hätten nach wie vor eine zentrale Bedeutung insbesondere bei der
Vermittlung von generell verwendbarem Humankapital; sie seien Voraussetzung
für die Vermittlung von Chancen der strukturell verankerten Inklusion.
Es sei also doch im Interesse der Migrant(inn)en selbst, ihre Chancen
in der Kernkultur und in den Kerninstitutionen des Aufnahmelandes zu suchen.
Die in Übereinstimmung mit diesem Ansatz häufig formulierten
Forderungen sind doppeldeutig: Sie können einerseits einen unumstrittenen,
universellen Charakter haben (z.B. "Alles für die Bildung"),
sie können aber auch andererseits Elemente eines autoritären
Diskurses enthalten: z.B. "Wer hier nicht gleich mithält und
wer keinen langen Atem hat, bleibt im Rennen auf der Strecke"; "Wer
nach dem Einreisealter auch nur ein wenig zu spät kommt, den hat
das Leben eigentlich ganz früh bestraft. Man kann schon fast die
Uhr danach stellen, und jeder Monat zählt" (Zitate, Hartmut
Esser).
Man könnte sich diese zwei letzteren aus wissenschaftlichen Publikationen
stammenden Zitate sehr wohl auch als Titel von Zeitungsartikeln vorstellen
(ähnliche Forderungen der Medien etwa in der Form: "Integriert
euch gefälligst und lernt Deutsch!", gibt es ja zahlreiche).
Ein(e) Wissenschaftler(in), der/die diese Titel kritisch analysieren sollte,
würde vermutlich von Beispielen eines recht unreflektierten medialen
Diskurses sprechen: Die Migrant(inn)en würden hier einseitig als
Problemgruppe dargestellt und gleichzeitig ihre tatsächlichen Probleme
und die Rolle der Aufnahmegesellschaft ausgeblendet. Als Vorschlag zur
Verbesserung der journalistischen Praxis würde man sogar dann eventuell
an das Verantwortungsbewusstsein der Journalist(inn)en appellieren, sie
zu einer reflektierten Medienberichterstattung oder zur Einnahme einer
gegenüber Kindern mit Migrationshintergrund sensibleren Haltung auffordern,
etc.
Der wissenschaftliche
Diskurs unterstützt in diesem konkreten Beispiel offensichtlich Deutungsmuster,
die in der öffentlichen Debatte ohnehin präsent sind und vom
medialen Diskurs aufgegriffen werden: Im ersten Beitrag des Buches identifiziert
und rekonstruiert Wengeler im Einwanderungsdiskurs verschiedene Deutungsmuster
("Topoi"), die in unterschiedlichen Phasen der Ausländerbeschäftigung'
besonders präsent und wirkungsvoll waren und/oder sind. Besonders
brisantes und zu meiner Einführung passendes Beispiel eines solchen
Topos' ist der sogenannte "Anpassungs-Topos".
Mediale Diskurse verlaufen nicht gradlinig, sondern weisen häufig
ambivalente Argumentationsmuster auf, was Hentges in seiner Analyse der
Migrationsberichterstattung im Spiegel deutlich macht: Es wird
zwischen wirtschaftlich nützlichen' und für die Aufnahmegesellschaft
wenig gewinnbringenden', ja unerwünschten' Ausländer(inne)n
unterschieden. Entsprechend unterschiedlich fällt dann die Wirkung
des Diskurses aus: Sympathien werben für die ersteren, Aversionen
erzeugen gegen die anderen.
Der Zusammenhang zwischen Diskurs, Wissen und Macht sowie der Beitrag
der Wissenschaft zur Entstehung und Reproduktion eines Minderheiten ausgrenzenden
medialen Diskurses stehen im Mittelpunkt des Beitrages von Erol Yildiz.
Durch gezielte Einnahme der Innenperspektive der Menschen mit Migrationshintergrund
wird am Beispiel des "Ghettodiskurses" nachgewiesen, dass mediale
Diskurse die Alltagswirklichkeit und die Erfahrungen von Minderheiten
ausblenden. Dies führe dazu, dass der Ethnisierungsprozess vorangetrieben
und permanent reproduziert wird. Das Spannungsverhältnis zwischen
den tatsächlichen Lebensverhältnissen dieser Menschen und den
in den Medien häufig konstruierten Wirklichkeiten wird den Leser(inne)n
auch im Beitrag von Schahrzad Farrokhzad noch einmal bewusst: Die Konstruktion
der fremden Frau' in den Medien zeichne sich durch kulturrassistische
Stereotypisierungen und eurozentrische Sichtweisen aus.
Die von Häusler durchgeführte Analyse von Medien der extremen
Rechten zeigt nicht nur, dass dort die multikulturelle Gesellschaft dämonisiert
und als Bedrohung für die deutsche Kultur' dargestellt wird,
sondern, dass sich diese Publizistik in ihrer Argumentation auf nationalistische
Positionen stützt, die im öffentlichen Diskurs vertreten werden.
Besondere Aufmerksamkeit verlangt die Lektüre jener Beiträge,
die ihren Fokus auf die Präsentation der Themen Islamismus',
Terrorismus' und Ausländerkriminalität' in den Medien
richten. Denn in diesen Beiträgen verzahnen sich miteinander zwei
Perspektiven: Analysen von Konfliktberichtserstattung und Analysen des
aktuellen medialen Migrationsdiskurses. Durch eine Untersuchung der Berichterstattung
über "Sicherheitsgesetze", "radikalen Islamismus"
und "Al-Quaida-Terroristenprozesse" zeigt Trautmann auf, auf
welche Weise das Bild von Islamismus und islamischem Terrorismus konstruiert
wird, und wie sich parallel die gesamte Migrationsfrage auf den Aspekt
der Sicherheit verschiebt: Bei der Thematisierung von Ausländern
werde dabei zunehmend mit bedrohlichen Sprachbildern ("sozialer Sprengstoff",
"tickende Zeitbombe") operiert, die nicht zuletzt deshalb besonders
wirkungsvoll seien, weil sie von der Leserschaft nun leichter mit den
einschlägigen Ereignissen assoziiert werden könnten. Das enge
Zusammenspiel von Bildern und Emotionen in der Kriegsberichterstattung
in türkischen und deutschen Printmedien am Beispiel des Irakkrieges
und der Aufbau des Feindbildes "Terroristen" machen die Massenmedien
zum wichtigen Instrument der Kriegsführung (Seref Ates). Die Implikationen
einer ethnischen Deutung komplexer Konflikte in Nachkriegsgesellschaften
(Afghanistan) für das politische Vorgehen in der Region werden überzeugend
dargestellt (Schetter).
Die letzten Beiträge im Kapitel "Alternativen für Journalismus
und Pädagogik" stellen Impulse und konkrete Ansätze für
die politische Bildung vor: Journalist(inn)en sollen durch angemessene
Weiterbildungsangebote dazu befähigt werden, möglichst vorurteilsfrei
über Migration und Integration zu berichten. Mediennutzer(innen)
sollen bereits im Kindesalter durch Medienerziehung u.a. in ihrer Kritikfähigkeit
gestärkt werden. Eine intensivere Mediennutzung durch die Migrant(inn)en
soll gefördert werden, um der Gefahr einer medialen Ghettoisierung
bei ausschließlicher Nutzung der Medienangebote der Herkunftsländer
vorzubeugen. Geleitet werden diese Überlegungen von einem Integrationsverständnis,
wonach Integration nicht durch einseitige Leistung seitens der Migrant(inn)en,
sondern nur in gemeinsamer Anstrengung von Migrant(inn)en und Einheimischen
gelingen kann (Butterwegge). Jenseits einer Medienwirkungsforschung, die
von linearen und direkten Wirkungsprozessen der Medieninformationen auf
die Rezipient(inn)en ausgeht, richtet Rudolf Leiprecht mit Bezug auf eigene
Forschungsarbeiten zu Alltagsrassismus den Fokus darauf, wie Rezipient(inn)en
Informationen gewichten, interpretieren und bewerten. In diesem Beitrag
werden Möglichkeiten und erste Ansätze zur pädagogischen
Arbeit mit Nachrichtensendungen und Pressemeldungen erarbeitet und vorgestellt.
Besonders wertvoll für künftige erziehungswissenschaftliche
Forschung in diesem Bereich ist m.E. der von Leiprecht favorisierte subjektbezogene
Ausgangspunkt. Demnach sollen die konkreten subjektiven Begründungsmuster,
Handlungskontexte und Möglichkeitsräume der Adressat(inn)en
ernst genommen werden, um auf dieser Grundlage Medieninformationen zum
Gegenstand einer gemeinsamen dialogisch und selbstreflexiv orientierten
Forschung zu machen.
Bei der Lektüre des Buches wird deutlich, dass weitere interdisziplinär
angelegte empirische Studien in diesem Bereich dringend notwendig sind.
Wie wirken sich z.B. unreflektierte und vorurteilsbehaftete Berichterstattungen
über Migration auf die Rezipient(inn)en tatsächlich aus? Und
umgekehrt die Frage: Welche Wirkung hat denn eine differenzierte Migrationsberichterstattung
auf die Leserschaft? Sind die Leser(innen) daran interessiert und bereit,
eine solche Form des medialen Diskurses zu rezipieren?
Erst eine Antwort auf diese Fragen kann Auskunft darüber geben, inwieweit
die - in mehreren Beiträgen des Buches explizit oder implizit vertretene
- Annahme zutrifft, ein kritischer medialer Migrationsdiskurs erreiche
oft nur eine kleine Anzahl von Leser(inne)n, differenzierte Berichterstattung
würde sich schlechter verkaufen als Artikel, die spektakuläre
und dramatisierende Schlagzeilen tragen. Wie einschränkend sich diese
Annahme auf die Nutzung von Medien als Ressourcen für eine konstruktive
Berichterstattung über Migration auswirken kann, wird in dem Beitrag
von Bernd Scheffer deutlich. Er vertritt die These, dass übliche
Empfehlungen an die Medien - von denen erwartet wird, dass Fremdenfeindlichkeit
nach deren Umsetzung in Grenzen gehalten wird - allein nicht ausreichten.
Aus dem Denkschema fremdenfeindlich', fremdenfreundlich' oder
eben sachlich belehrend' lautet sein Vorschlag: eine "fremdenfreundliche
Medienpraxis" zu fördern, deren Erfolg schätzungsweise
ungleich größer sei als der Erfolg "sachlicher Belehrungen
mit Hintergrundberichten".
Insgesamt liefern die Buchbeiträge mit zahlreichen empirischen Beispielen
und einschlägigen Literaturhinweisen einen guten Überblick über
den aktuellen Stand der Diskussion zur Thematik. Komplexe Mechanismen
der Ausgrenzung und Diskriminierung von Migrant(inn)en im medialen Diskurs
werden aufgedeckt und plastisch präsentiert.
Wassilios
Baros
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