conflict & communication online, Vol. 5, No. 2, 2006
www.cco.regener-online.de
ISSN 1618-0747

 

 

 

Christoph Butterwegge/Gudrun Hentges (Hg.) Massenmedien, Migration und Integration. Wiesbaden: VS - Verlag für Sozialwissenschaften. 2006.

Die Veröffentlichung des von Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges herausgegebenen Bandes fällt für die Migrationsforschung in eine Zeit, in der das Thema der Integration vers. Segregation von Migrant(inn)en in der Aufnahmegesellschaft intensiv und besonders kontrovers diskutiert wird: Strukturelle Assimilation sei die notwenige Bedingung einer nachhaltigen Sozial-Integration der Migrant(inn)en, heißt es bei Vertretern (Brubaker, Alba und Nee) des Neu-Assimilationsansatzes. Kulturelle Vorgaben des jeweiligen Aufnahmekontextes hätten nach wie vor eine zentrale Bedeutung insbesondere bei der Vermittlung von generell verwendbarem Humankapital; sie seien Voraussetzung für die Vermittlung von Chancen der strukturell verankerten Inklusion. Es sei also doch im Interesse der Migrant(inn)en selbst, ihre Chancen in der Kernkultur und in den Kerninstitutionen des Aufnahmelandes zu suchen.
Die in Übereinstimmung mit diesem Ansatz häufig formulierten Forderungen sind doppeldeutig: Sie können einerseits einen unumstrittenen, universellen Charakter haben (z.B. "Alles für die Bildung"), sie können aber auch andererseits Elemente eines autoritären Diskurses enthalten: z.B. "Wer hier nicht gleich mithält und wer keinen langen Atem hat, bleibt im Rennen auf der Strecke"; "Wer nach dem Einreisealter auch nur ein wenig zu spät kommt, den hat das Leben eigentlich ganz früh bestraft. Man kann schon fast die Uhr danach stellen, und jeder Monat zählt" (Zitate, Hartmut Esser).
Man könnte sich diese zwei letzteren aus wissenschaftlichen Publikationen stammenden Zitate sehr wohl auch als Titel von Zeitungsartikeln vorstellen (ähnliche Forderungen der Medien etwa in der Form: "Integriert euch gefälligst und lernt Deutsch!", gibt es ja zahlreiche). Ein(e) Wissenschaftler(in), der/die diese Titel kritisch analysieren sollte, würde vermutlich von Beispielen eines recht unreflektierten medialen Diskurses sprechen: Die Migrant(inn)en würden hier einseitig als Problemgruppe dargestellt und gleichzeitig ihre tatsächlichen Probleme und die Rolle der Aufnahmegesellschaft ausgeblendet. Als Vorschlag zur Verbesserung der journalistischen Praxis würde man sogar dann eventuell an das Verantwortungsbewusstsein der Journalist(inn)en appellieren, sie zu einer reflektierten Medienberichterstattung oder zur Einnahme einer gegenüber Kindern mit Migrationshintergrund sensibleren Haltung auffordern, etc.

Der wissenschaftliche Diskurs unterstützt in diesem konkreten Beispiel offensichtlich Deutungsmuster, die in der öffentlichen Debatte ohnehin präsent sind und vom medialen Diskurs aufgegriffen werden: Im ersten Beitrag des Buches identifiziert und rekonstruiert Wengeler im Einwanderungsdiskurs verschiedene Deutungsmuster ("Topoi"), die in unterschiedlichen Phasen der ‚Ausländerbeschäftigung' besonders präsent und wirkungsvoll waren und/oder sind. Besonders brisantes und zu meiner Einführung passendes Beispiel eines solchen ‚Topos' ist der sogenannte "Anpassungs-Topos".
Mediale Diskurse verlaufen nicht gradlinig, sondern weisen häufig ambivalente Argumentationsmuster auf, was Hentges in seiner Analyse der Migrationsberichterstattung im Spiegel deutlich macht: Es wird zwischen wirtschaftlich ‚nützlichen' und für die Aufnahmegesellschaft ‚wenig gewinnbringenden', ja ‚unerwünschten' Ausländer(inne)n unterschieden. Entsprechend unterschiedlich fällt dann die Wirkung des Diskurses aus: Sympathien werben für die ersteren, Aversionen erzeugen gegen die anderen.
Der Zusammenhang zwischen Diskurs, Wissen und Macht sowie der Beitrag der Wissenschaft zur Entstehung und Reproduktion eines Minderheiten ausgrenzenden medialen Diskurses stehen im Mittelpunkt des Beitrages von Erol Yildiz. Durch gezielte Einnahme der Innenperspektive der Menschen mit Migrationshintergrund wird am Beispiel des "Ghettodiskurses" nachgewiesen, dass mediale Diskurse die Alltagswirklichkeit und die Erfahrungen von Minderheiten ausblenden. Dies führe dazu, dass der Ethnisierungsprozess vorangetrieben und permanent reproduziert wird. Das Spannungsverhältnis zwischen den tatsächlichen Lebensverhältnissen dieser Menschen und den in den Medien häufig konstruierten Wirklichkeiten wird den Leser(inne)n auch im Beitrag von Schahrzad Farrokhzad noch einmal bewusst: Die Konstruktion der ‚fremden Frau' in den Medien zeichne sich durch kulturrassistische Stereotypisierungen und eurozentrische Sichtweisen aus.
Die von Häusler durchgeführte Analyse von Medien der extremen Rechten zeigt nicht nur, dass dort die multikulturelle Gesellschaft dämonisiert und als Bedrohung für die ‚deutsche Kultur' dargestellt wird, sondern, dass sich diese Publizistik in ihrer Argumentation auf nationalistische Positionen stützt, die im öffentlichen Diskurs vertreten werden.
Besondere Aufmerksamkeit verlangt die Lektüre jener Beiträge, die ihren Fokus auf die Präsentation der Themen ‚Islamismus', ‚Terrorismus' und ‚Ausländerkriminalität' in den Medien richten. Denn in diesen Beiträgen verzahnen sich miteinander zwei Perspektiven: Analysen von Konfliktberichtserstattung und Analysen des aktuellen medialen Migrationsdiskurses. Durch eine Untersuchung der Berichterstattung über "Sicherheitsgesetze", "radikalen Islamismus" und "Al-Quaida-Terroristenprozesse" zeigt Trautmann auf, auf welche Weise das Bild von Islamismus und islamischem Terrorismus konstruiert wird, und wie sich parallel die gesamte Migrationsfrage auf den Aspekt der Sicherheit verschiebt: Bei der Thematisierung von Ausländern werde dabei zunehmend mit bedrohlichen Sprachbildern ("sozialer Sprengstoff", "tickende Zeitbombe") operiert, die nicht zuletzt deshalb besonders wirkungsvoll seien, weil sie von der Leserschaft nun leichter mit den einschlägigen Ereignissen assoziiert werden könnten. Das enge Zusammenspiel von Bildern und Emotionen in der Kriegsberichterstattung in türkischen und deutschen Printmedien am Beispiel des Irakkrieges und der Aufbau des Feindbildes "Terroristen" machen die Massenmedien zum wichtigen Instrument der Kriegsführung (Seref Ates). Die Implikationen einer ethnischen Deutung komplexer Konflikte in Nachkriegsgesellschaften (Afghanistan) für das politische Vorgehen in der Region werden überzeugend dargestellt (Schetter).
Die letzten Beiträge im Kapitel "Alternativen für Journalismus und Pädagogik" stellen Impulse und konkrete Ansätze für die politische Bildung vor: Journalist(inn)en sollen durch angemessene Weiterbildungsangebote dazu befähigt werden, möglichst vorurteilsfrei über Migration und Integration zu berichten. Mediennutzer(innen) sollen bereits im Kindesalter durch Medienerziehung u.a. in ihrer Kritikfähigkeit gestärkt werden. Eine intensivere Mediennutzung durch die Migrant(inn)en soll gefördert werden, um der Gefahr einer medialen Ghettoisierung bei ausschließlicher Nutzung der Medienangebote der Herkunftsländer vorzubeugen. Geleitet werden diese Überlegungen von einem Integrationsverständnis, wonach Integration nicht durch einseitige Leistung seitens der Migrant(inn)en, sondern nur in gemeinsamer Anstrengung von Migrant(inn)en und Einheimischen gelingen kann (Butterwegge). Jenseits einer Medienwirkungsforschung, die von linearen und direkten Wirkungsprozessen der Medieninformationen auf die Rezipient(inn)en ausgeht, richtet Rudolf Leiprecht mit Bezug auf eigene Forschungsarbeiten zu Alltagsrassismus den Fokus darauf, wie Rezipient(inn)en Informationen gewichten, interpretieren und bewerten. In diesem Beitrag werden Möglichkeiten und erste Ansätze zur pädagogischen Arbeit mit Nachrichtensendungen und Pressemeldungen erarbeitet und vorgestellt. Besonders wertvoll für künftige erziehungswissenschaftliche Forschung in diesem Bereich ist m.E. der von Leiprecht favorisierte subjektbezogene Ausgangspunkt. Demnach sollen die konkreten subjektiven Begründungsmuster, Handlungskontexte und Möglichkeitsräume der Adressat(inn)en ernst genommen werden, um auf dieser Grundlage Medieninformationen zum Gegenstand einer gemeinsamen dialogisch und selbstreflexiv orientierten Forschung zu machen.
Bei der Lektüre des Buches wird deutlich, dass weitere interdisziplinär angelegte empirische Studien in diesem Bereich dringend notwendig sind. Wie wirken sich z.B. unreflektierte und vorurteilsbehaftete Berichterstattungen über Migration auf die Rezipient(inn)en tatsächlich aus? Und umgekehrt die Frage: Welche Wirkung hat denn eine differenzierte Migrationsberichterstattung auf die Leserschaft? Sind die Leser(innen) daran interessiert und bereit, eine solche Form des medialen Diskurses zu rezipieren?
Erst eine Antwort auf diese Fragen kann Auskunft darüber geben, inwieweit die - in mehreren Beiträgen des Buches explizit oder implizit vertretene - Annahme zutrifft, ein kritischer medialer Migrationsdiskurs erreiche oft nur eine kleine Anzahl von Leser(inne)n, differenzierte Berichterstattung würde sich schlechter verkaufen als Artikel, die spektakuläre und dramatisierende Schlagzeilen tragen. Wie einschränkend sich diese Annahme auf die Nutzung von Medien als Ressourcen für eine konstruktive Berichterstattung über Migration auswirken kann, wird in dem Beitrag von Bernd Scheffer deutlich. Er vertritt die These, dass übliche Empfehlungen an die Medien - von denen erwartet wird, dass Fremdenfeindlichkeit nach deren Umsetzung in Grenzen gehalten wird - allein nicht ausreichten. Aus dem Denkschema ‚fremdenfeindlich', ‚fremdenfreundlich' oder eben ‚sachlich belehrend' lautet sein Vorschlag: eine "fremdenfreundliche Medienpraxis" zu fördern, deren Erfolg schätzungsweise ungleich größer sei als der Erfolg "sachlicher Belehrungen mit Hintergrundberichten".
Insgesamt liefern die Buchbeiträge mit zahlreichen empirischen Beispielen und einschlägigen Literaturhinweisen einen guten Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion zur Thematik. Komplexe Mechanismen der Ausgrenzung und Diskriminierung von Migrant(inn)en im medialen Diskurs werden aufgedeckt und plastisch präsentiert.

Wassilios Baros

 

     
 

Über den Autor: Wassilios Baros, geb. 1969. Dr. päd. (Univ. Köln); Diplom in Erziehungswissenschaft (Univ. Ioannina/Griechenland); Studium der Friedens- und Konfliktforschung und der Mediation (FernUni Hagen). Seit WS 06/07 Hochschullehrer für Interkulturelle Erziehung an der Dimokritos Universität (Alexandroupoli/GR).

eMail: baros@empirische-migrationsforschung.de

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