conflict & communication online, Vol. 4, No. 2, 2005
www.cco.regener-online.de
ISSN 1618-0747

 

 

 

Wilhelm Kempf
Zwei Experimente zur deeskalationsorientierten Berichterstattung über Nachkriegskonflikte

Kriegsberichterstattung hat einen starken Bias in Richtung auf Polarisierung der Konfliktparteien, Feindbildkonstruktion und Konflikteskalation. In abgeschwächter Form lebt dieser Bias oft über das Ende des Krieges hinaus fort und verzerrt auch noch die Nachkriegsberichterstattung. Selbst nach Kriegsende ist es nur eine Minderheit der Journalisten, welche in einer mehr deeskalations- oder versöhnungsorientierten Weise berichten. Haben sie eine Chance, die Öffentlichkeit zu erreichen? Werden ihre Berichte vom Publikum als ausgewogener und weniger verzerrt gewürdigt? Haben Sie einen Einfluss auf die mentalen Modelle, nach welchen das Publikum den Konflikt interpretiert? Oder hält das Publikum an Vorurteilen fest und lehnt Zeitungsartikel ab, die nicht den Feindbildern entsprechen, die sich während des Krieges entwickelt haben?
Die vorliegende Arbeit untersucht diese Fragen in Form von zwei experimentellen Studien.
Im ersten Experiment wurden n=128 Probanden (repräsentativ für die Leserschaft der deutschen Qualitätspresse) Zeitungsartikel über 3 Ereignisse im früheren Jugoslawien nach dem Sturz Miloševics vorgelegt: (1) gewalttätige Übergriffe in Süd-Serbien (Dezember 2000), (2) die Auslieferung Milosevics an Den Haag (Juni 2001) und (3) der Staatsvertrag zwischen Serbien und Montenegro (März 2003). Zu jedem dieser Ereignisse wurden vier verschiedene Arten von Artikeln benutzt: moderat eskalationsorientierte Artikel von prestigeträchtigen Deutschen Zeitungen (Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung) und 3 Varianten dieser Artikel, (a) mit verstärkt eskalationsorientiertem Framing, (b) mit moderat deeskalationsorientiertem Framing und (c) mit stärker deeskalationsorientiertem Framing der Ereignisse.
Jeder Proband musste jeweils einen Artikel zu jedem der drei Ereignisse in chronologischer Reihenfolge lesen und nach jedem Artikel (a) die berichteten Ereignisse in seinen eigenen Worten nacherzählen und (b) einen Fragebogen ausfüllen, der messen sollte, inwieweit der Artikel als unverzerrt, ausgeglichen, interessant etc. akzeptiert wurde. Die mentalen Modelle nach welchen die Probanden die Ereignisse interpretierten wurden mittels quantitativer Inhaltsanalyse aus ihren Nacherzählungen abgeleitet.
Im zweiten Experiment wurde nur die Akzeptanz der Artikel gemessen, aber nicht ihr Einfluss auf die mentalen Modelle der Leser. Ansonsten wurden der gleiche Versuchsaufbau und die gleichen Instrumente benutzt, allerdings mit gewissen Modifikationen: Die Originalartikel stammten von eine Österreichischen Regionalzeitung (Vorarlberger Nachrichten) und die Versuchspersonengruppe (N=126) wurde aus deren Leserschaft rekrutiert. Die Berichte über den Staatsvertrag zwischen Serbien und Montenegro wurden durch Berichte über Kostunicas Reaktion auf Rugovas Sieg in den Kosovo-Wahlen (November 2000) ersetzt, und die stärker deeskalationsorientierten Textversionen wurden durch eskalationsorientierte Varianten mit umgekehrter Parteilichkeit (pro Serbien) ersetzt.
Die Ergebnisse der Studien sprechen zugunsten des Projekts Friedensjournalismus. Deeskalationsorientierte Zeitungsartikel wurden niemals weniger akzeptiert als die anderen Textversionen.
Bei dem Textmaterial aus der Qualitätspresse und ihrer Leserschaft wurden sie sogar eher akzeptiert und resultierten in weniger stark polarisierten mentalen Modellen.
Bei dem Textmaterial aus der Provinzpresse und ihrer Leserschaft konnte kein Unterschied bezüglich der Akzeptanz der verschiedenen Textversionen gefunden werden. Die Befunde deuten zudem darauf hin, dass das provinzielle Publikum sich weniger für die post-jugoslawischen Angelegenheiten interessierte und von traditionellen Einflussfaktoren der Nachrichten wie Personalisierung und Negativität stärker beeinflusst wurde
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Zum Autor:
Wilhelm Kempf, seit 1977 Professor für Psychologische Methodenlehre und Leiter der Projektgruppe Friedensforschung an der Universität Konstanz. Arbeitsschwerpunkte: Gewaltfreie Konfliktlösungen, Konstruktion sozialer Wirklichkeit durch die Massenmedien. Veröffentlichungen u.a.: Konflikt und Gewalt (Münster: agenda, 2000); Los Medios y la Cultura de Paz (mit Sonia Gutiérrez Villalobos, Berlin: regener, 2001); Journalism and the New World Order. Vol. II. Studying War and the Media(mit Heikki Luostarinen, Göteborg: Nordicom, 2002); Constructive Conflict Coverage (herausgegeben vom Austrian Study Center for Peace and Conflict Resolution, Berlin: regener, 2003)

Adresse: Fachbereich Psychologie, Universität Konstanz (www.uni-konstanz.de), D-78457 Konstanz. eMail: Wilhelm.Kempf@uni-konstanz.de