Editorial

 

 


Mehr als 7300 Volltext-Downloads im ersten Erscheinungsjahr haben conflict & communication online einen respektablen Start verschafft, davon über 3000 während der ersten 7 Monate nach Erscheinen von Heft 1, Ende Januar 2002, und mehr als 4300 in den 4 Monaten nach Erscheinen von Heft 2, Ende August 2002, bis zum Jahresende.

Weit weniger erfreulich war die friedenspolitische Entwicklung während dieses Zeitraums, die vor allem den Nahen Osten in den Blickwinkel der Weltöffentlichkeit gerückt hat und durch die Eskalation des Terrors auf beiden Seiten des israelisch-palästinensischen Konflikts sowie durch den (am Ende gescheiterten) Versuch der USA und Großbritanniens geprägt war, die Vereinten Nationen zur Legitimation ihres längst beschlossenen Krieges gegen den Irak zu funktionalisieren. Schon im November 1998 hatte Tony Blair vor dem britischen Unterhaus angekündigt, dass die amerikanisch-britischen Luftangriffe bis zum Sturz Saddam Husseins fortgesetzt würden und auf der Welle der internationalen Solidarität mit den USA nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 schien die Stunde günstig, der im Golfkrieg propagierten Neuen Weltordnung endgültig zum Durchbruch zu verhelfen.
Dass sich der Weltsicherheitsrat dieser Strategie verweigert hat, konnte den Krieg nicht verhindern. Doch wenngleich die Vereinten Nationen und das internationale Recht mit dem Beginn des Krieges gegen den Irak eine schwere Niederlage hinnehmen mussten, zeigten die anhaltenden Proteste gegen die Kriegspolitik (auch in England und in den USA), dass nicht nur die politische Führung des "alten Europa", sondern auch die Weltöffentlichkeit dem Prinzip der Streitbeilegung mit friedlichen Mitteln weit größeres Gewicht einzuräumen bereit sind als dies noch in Bosnien oder im Kosovo der Fall war.
Die Bush-Administration hat auf diese prekäre Lage mit einer neuen Propaganda-Strategie geantwortet. Verglichen mit dem Golfkrieg, als Journalisten im Konvoi zu ausgewählten Schauplätzen gekarrt wurden, mag das diesmal praktizierte "Embedding", das Einbetten von Reportern in die Kämpfende Truppe, auf den ersten Blick als Gewinn für die Informationsfreiheit erscheinen. Noch nie hatten die Medien einen so nahen Zugang zum Kriegsgeschehen, versprach US-Verteidigungsminister Rumsfeld, und Chris Cramer, Chef des Nachrichtensenders CNN, versuchte dies als einen historischen Schritt für den Journalismus zu verkaufen. Doch, wie Alexander Michel im Südkurier vom 28. März zu Recht festgestellt hat, ist "an Euphrat und Tigris nicht nur der Medientross, sondern auch die Wahrheit eingebettet. Konkret wird der Mangel an Informationen weniger durch die Praxis der Zensur, die alle Photos, Filme und Texte einer Prüfung unterzieht. Vielmehr wird offenkundig, dass die kameradschaftliche Nähe zwischen Reporter und Soldat - die zusammen essen, schlafen und im Graben liegen - einer nüchternen, Abstand wahrenden Berichterstattung schadet. Distanz schwindet, Verbrüderung bahnt sich an, und Propaganda bricht sich Bahn, wenn ein CNN-Reporter meldet: ‚Wir sind weiter auf dem Vormarsch.' Oder ‚Wir sind auf starken Widerstand getroffen.'"
Anders als im Golfkrieg, als Peter Arnett von CNN als einziger in Bagdad ausharrte, gab es aber diesmal auch eine Vielzahl von Journalisten, die von der anderen Seite der Front berichten, und die seit dem Golfkrieg gewachsene Einsicht, dass Journalisten nicht bloß neutrale Berichterstatter sind, sondern einen Einfluss auf das politische Geschehen haben, hat dazu geführt, dass sich die Medien (zumindest in Deutschland) heute weit stärker mit dem Krieg und mit ihrer eigenen Rolle in diesem Krieg kritisch auseinandersetzen. Für die Entwicklung einer konstruktiven Konfliktberichterstattung als Gegenpol zu herkömmlicher Propaganda ist damit eine neue Situation entstanden, deren Tragfähigkeit es erst noch zu untersuchen gilt und deren Lehren noch aufzuarbeiten sein werden. Wenn der gesamtgesellschaftliche Rahmen ihre Entfaltung zulässt, sind die professionelle Kompetenz und die Kreativität der Journalisten selbst zweifellos eine der wichtigsten Quellen, aus denen sich etwas über die Chancen und Grenzen von Friedensjournalismus lernen lässt.
Die vorliegende Ausgabe von conflict & communication online untersucht den Beitrag, welchen die Medien zur Konstruktion des Umfeldes leisten, in dem sich Außenpolitik vollzieht, anhand des israelisch-palästinensischen Konfliktes. Dov Shinar plädiert dafür, den israelisch-palästinensischen Konflikt vorrangig als Kulturkonflikt zu verstehen, untersucht die schwerwiegenden Konsequenzen, welche die Fehleinschätzung der Natur von Konflikten für die Konfliktberichterstattung haben (können) und arbeitet einige der Konsequenzen heraus, die sich aus dem Modell der Konfliktransformation für eine konstruktive Konfliktberichterstattung über Kulturkonflikte ergeben. Lea Mandelzis analysiert die Veränderungen des Feindbildes im Nachrichtendiskurs israelischer Zeitungen während des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses und der Aufsatz von Anat First & Eli Avraham ist der Frage gewidmet, wie sich die Veränderungen des politischen, sozialen und medienbezogenen Umfelds auf die Berichterstattung über die arabischen Bürger Israels in den israelischen Medien ausgewirkt haben.
Der damit begonnene Themenschwerpunkt "Konflikt, Feindbildkonstruktionen und Versöhnung" wird im kommenden Heft von conflict & communication online fortgesetzt werden, das über den Fall Israel-Palästina hinausgehende theoretische Konzepte und internationale Erfahrungen zum Gegenstand hat. Neben Fallstudien zu anderen Konfliktgebieten enthält Vol. 2, No. 2 eine Studie von Susan Dente Ross über den Niederschlag, welchen die Terroranschläge des 11. September 2001 auf das Framing des israelisch-palästinensischen Konflikts in den Editorials der New York Times gefunden haben, und in einem Aufsatz von Wilhelm Kempf wird das Konzept einer konstruktiven Konflikterstattung unter sozialpsychologischer Perspektive entwickelt.
In der Rubrik "Freie Beiträge" findet sich in der vorliegenden Ausgabe von conflict & communication online ein Aufsatz von Andreas Mattenschlager und Hubert Riedle, der die Ergebnisse zweier Fallstudien aus dem von Heikki Luostarinen (Universität Jyvaskyla, Finnland) initiierten Forschungsprojekt über die Konstruktion nationaler Identitäten in den europäischen Printmedien der Nachkriegszeit (1945-1995) zum Gegenstand hat. Während der Fokus der deutschen Fallstudie auf der Konstruktion nationaler Identität unter den Bedingungen der Zweistaatlichkeit (BRD/DDR) liegt, sind es die graduelle Überwindung des Isolationismus der "neutralen" Schweiz und ihre zunehmende Europaintegration, die im Zentrum der schweizerischen Fallstudie stehen.

Konstanz - Berlin
Im April 2003

Wilhelm Kempf

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