conflict & communication online, Vol. 19, No. 1&2, 2020
www.cco.regener-online.de
ISSN 1618-0747

 

 


Editorial

 

 

 

Nicht jeder Gewaltakt gegen Minoritäten ist eindeutig auf eine klar definierte  Form von Rechtspopulismus, Menschenfeindlichkeit oder nicht demokratischer Einstellung„-“ zurückzuführen. Die Herausforderung für die Friedenspsychologie und -bildung ist, (neuartige) Diskriminierungsverhältnisse und dahinterliegende Motive differenziert und differenzierend zu betrachten. Zu behandeln sind beispielsweise folgende Fragen: Welche (kollektiven) Subjekte sind inwiefern auf Einstellungs- und Verhaltensebene von demokratischen Werten und Idealen wie Freiheit und Gleichheit, Toleranz und Solidarität entkoppelt? Welche kulturellen, historischen und diskursiven Konstellationen auf der einen Seite und welche kognitiven und emotionalen Dispositionen auf der anderen Seite stehen in Zusammenhang damit, dass Bekenntnisse zu demokratischen Werten völlig ausbleiben, bzw. sich nicht in entsprechender Praxis manifestieren oder, dass der Demokratie sogar insgesamt mit Skepsis begegnet wird? Welche Faktoren können umgekehrt zur Förderung von Demokratie- und Menschenrechtsorientierungen führen und  somit zum ‚Projekt Frieden‘ einen Beitrag leisten?
Das vorliegende Themenheft bündelt Beiträge von Autor*innen, die auf Basis von Vorträgen und Diskussionen zu diesen Fragenkomplexen im Rahmen der 32. Tagung des Forums Friedenspsychologie (Universität Salzburg, 14.-16.6.2019) entstanden sind.

Rechtspopulismus – Antisemitismus – demokratiebezogene Einstellungen in der Migrationsgesellschaft

In ihrem systematischen Überblick zum Stand der Populismusforschung fokussiert Julia Schnepf auf die Charakteristika rechtspopulistischer Rhetorik und ihrer potentiellen Wirkungen auf Migrant*innen und Nicht-Migrant*innen. Die Ergebnisse ihrer Analyse verdeutlichen, wie nicht integre Argumentationsmuster erstens zum Aufbau von Vorurteilen unter „Einheimischen“ begünstigen, zweitens gesteigerte Ängste und Vertrauensverlust unter Menschen mit Migrationshintergrund bewirken und so drittens überhaupt erst zur Konstruktion sozialer Distanz beitragen.
In seinem Beitrag arbeitet Wilhelm Kempf verschiedene Spielarten von Antisemitismus und Antizionismus heraus, die ihre Wurzeln in unterschiedlich konstituierten kollektiven Gedächtnissen haben. Die empirischen Ergebnisse seiner Studie zeigen, dass antisemitische und antizionistische Einstellungen unter Muslimen in Deutschland zwar weiter verbreitet sind als unter anderen Glaubensrichtungen; sie fußen jedoch auf unterschiedlichen Haltungen und kulturelle Gedächtnisse. Darüber hinaus kann im Hinblick auf nicht-muslimische Deutsche konstatiert werden, dass antisemitische und islamfeindliche Einstellungen einander strukturell ähneln und häufig Hand in Hand gehen. 
Veronika Zimmer und Margit Stein setzen sich in ihrer Studie mit der Frage auseinander, welche Einstellungen Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund gegenüber Neuzuwanderung und Fremdenfeindlichkeit haben. In Regressionsanalysen zeigt sich, dass die StudienteilnehmerInnen weniger Sorgen in Bezug auf Neuzuwanderung äußern als im Hinblick auf die Zunahme von Fremdenfeindlichkeit. Zu einem Abbau beider dieser Ängste leisteten insbesondere interethnische Freundschaften einen entscheidenden Beitrag.
Wolfgang Frindte, Stephanie Wohlt und Kirsten Richter untersuchen unter Berücksichtigung einer Vielzahl möglicher Prädiktoren die Einstellungen von Jugendlichen zu Partizipation und demokratischen Werten. Ein zentrales Ergebnis ihrer Analysen ist, dass das Vorliegen demokratischer und partizipatorischer Bedingungen in Familie und Schule die Entstehung demokratiebejahender Haltungen begünstigen und gegen antidemokratisches Gedankengut immunisieren.
Auf Basis umfangreichen Datenmaterials beleuchtet Madlen Preuß die Tragfähigkeit des Konzepts der Etablierten-Außenseiter-Konfiguration nach Elias für die empirische Friedensforschung. Ihre Ergebnisse verdeutlichen, dass neben Autoritarismus, sozialer Dominanzorientierung und Anomie die Annahme eines Etablierten-Status einen weiteren Erklärungsfaktor für die Entstehung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und das Aufkommen von Inter-Gruppen-Konflikten darstellt.

Mediale Diskurse – politische Emotionen – Gerechtigkeit

Ricarda Gugg skizziert in ihrem Beitrag, wie sich einige grundsätzliche Richtlinien zur wissenschaftlichen Erforschung der medialen Repräsentation migrationsgesellschaftlicher Wertediskurse realisieren lassen. Ausgehend von dem Ergebnis, dass das ‚Kopftuch‘ in Texten älteren Datums eher am Rande behandelt wird, sich in neueren hingegen zum zentralen Topos zu etablieren scheint, wird der Bedarf nach weiterführenden ideologie- und rassismuskritischen Medienanalysen hervorgehoben. 
Wassilios Baros, Maximilian Sailer und Gwennaëlle Mulliez präsentieren die Ergebnisse einer Latent-Class-Analyse zu subjektiven Positionierungen von Rezipient*innen zu vier Variationen eines Zeitungsartikels mit dem Titel „Bürger wehren sich gegen Asylunterkünfte – Seehofer besorgt“. Zentrales Ergebnis ihrer Studie ist, dass die relativ distanzierte Sichtbarmachung von Antagonismen in der Berichterstattung die Wahrscheinlichkeit für reflektierte Auseinandersetzungen seitens der Rezipient*innen mit medial vermittelten migrationsgesellschaftlichen Dissensen erhöht und sich somit als Bestandteil für kritischen Migrationsjournalismus erweisen kann.
Die Studie von Thomas Theurer beschäftigt sich mit der Bedeutung von Emotionen in subjektiven Positionierungen zu asylpolitischen Diskursen. Entgegen der Annahme, die Häufigkeit wütender Stellungnahmen gegenüber der Politik der Willkommenskultur sei ein Erkennungsmerkmal des Rechtspopulismus, zeigen die Untersuchungsergebnisse, dass Zuwanderungsskepsis und Indifferenz gegenüber Menschenrechten als Elemente rechtspopulistischer Diskurse vorwiegend ohne Ausdruck von Attributionsemotionen artikuliert werden. Für die weitere Forschung zu politischen Emotionen scheint es daher ertragreich, weniger auf die Quantität als auf die Gerichtetheit des Emotionsausdrucks zu fokussieren.
Ein entscheidender ursächlicher Faktor für Fluchtmigration aus dem globalen Süden ist in globalen wirtschaftlichen Zusammenhängen und den Konsumgewohnheiten des ‚Nordens‘ zu sehen. Isabel Strubel beschäftigt sich in ihrer Studie mit Argumenten für die Entscheidung zum fairen Konsum und stellt die Bedeutung der affektiven Ebene von Gerechtigkeitsmotiven heraus. Eine Schlüsselrolle spielt ihren Ergebnissen zufolge gerade die Empörung, die als moralische Emotion aufgrund des Wissens über globale Ungleichheitsverhältnisse in der Lebensmittelproduktion hervorgerufen wird.

Salzburg, im Juli 2020

Thomas Theurer & Wassilios Baros

Die Gastherausgeber: Thomas Theurer, MA, ist Universitätsassistent und Doktorand an der Universität Salzburg, Fachbereich Erziehungswissenschaft. Forschungsinteressen: Politische Bildung, erziehungswissenschaftliche Migrationsforschung, sozialwissenschaftliche Emotionsforschung.
eMail: thomas.theurer@sbg.ac.at

Wassilios Baros ist Professor für Bildungsforschung an der Paris-Lodron Universität Salzburg und leitet die Projektgruppe Empirische Migrationsforschung (PREMISA). Seine Forschungsinteressen umfassen migrationspolitische Bildungsforschung, Latente Stilanalysen von Kommunikationskulturen und Rezipientenforschung.
eMail: wassilios.baros@sbg.ac.at


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