conflict & communication online, Vol. 5, No. 1, 2006
www.cco.regener-online.de
ISSN 1618-0747

 

 

 

Petra Gerster & Michael Gleich, 2005. Die Friedensmacher. München: Carl Hanser Verlag.

Übermäßige Orientierung an Eskalation und Gewalt, zu starker Fokus auf die politischen Eliten, mangelnde Aufmerksamkeit für langfristige Prozesse der Deeskalation, Friedenskonsolidierung und Versöhnung: so lauten einige der wiederkehrend vorgetragenen Kritikpunkte der Friedensforschung an der journalistischen Konflikt- und Kriegsberichterstattung. Dem Mainstream der Konfliktberichterstattung ein kleines Gewicht entgegenzusetzen, das ist das Anliegen des Projekt Peace Counts. Unter diesem Namen hat sich eine kleine Gruppe von Journalisten der Aufgabe verschrieben, weltweit Menschen ausfindig zu machen und zu porträtieren, die besonders kreativ, glaubwürdig, langfristig und erfolgreich an Friedensprozessen arbeiten. Eine Auswahl der Reportagen, die zunächst in verschiedenen Zeitungen und Magazinen publiziert oder als Hörfunkprogramm gesendet worden sind, ist nun unter dem Titel "Die Friedensmacher" in Buchform erschienen.
Die Protagonisten der elf im Buch abgedruckten Geschichten stammen aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt; ebenso verschieden sind die Konflikte, innerhalb derer sie sich bewegen. Eines jedoch ist allen Reportagen gemeinsam. Porträtiert werden hier nicht diejenigen, die in der Weltpresse gemeinhin als "Friedensmacher" gelten - Spitzendiplomaten wie Richard Holbrooke oder Javier Solana oder Nobelpreisträger wie Jimmy Carter, Nelson Mandela und Kofi Annan. Die Geschichten handeln vielmehr von Menschen, die abseits der großen Medienöffentlichkeit ihre Friedensarbeit verrichten. Eine Arbeit, die zunächst kleinere Kreise zieht als die große Politik, ohne die jedoch vor Ort, bei den betroffenen Menschen, kein Frieden entstehen kann und ohne die jedes offizielle Abkommen letztlich wertlos bleibt.
So lernt der Leser zum Beispiel Joe Doherty und Peter McGuire kennen, die im Nordirlandkonflikt lange Jahre in terroristischen Gruppierungen für ihre jeweilige Seite gekämpft haben; heute versuchen sie, als Sozialarbeiter Jugendlichen ihre Erfahrung weiterzugeben, dass der Weg der Gewalt in eine Sackgasse mündet und dass nur der Dialog eine Lösung bringen kann. Oder Padre Giovanni, der in Kolumbien zwischen Guerillas und Paramilitärs vermittelt. Oder Victoria Maloka, die in Kapstadt für das Conflict Resolution Centre als Mediatorin tätig ist. Oder Rohini Narasingham, der sich in Sri Lanka für den Wiederaufbau in einer vom Bürgerkrieg zerstörten Region einsetzt. Oder Yehia Ag Mohammed Ali, der in Mali zwischen verfeindeten Stammesgruppen Brücken baut.
Die Aktivitäten dieser Menschen stehen im Mittelpunkt der Reportagen. Sehr anschaulich wird geschildert, wie jeder dieser Friedensarbeiter in seiner Region versucht, zu einer gewaltfreieren Austragung von Konflikten beizutragen. Friedensarbeit manifestiert sich hier in täglich neuen Begegnungen, Gesprächen, Verhandlungen, Vermittlungen, in Maßnahmen zur Sicherung der Lebensgrundlagen, in Hilfestellungen bei der Bewältigung des Nachkriegsalltags, im Monitoring von Friedensvereinbarungen, in Bildungsarbeit, oder im öffentlichen Eintreten gegen den Einsatz von Gewalt.
Der Leser erfährt dabei einiges über den Charakter von Friedensprozessen. Es wird deutlich, dass es um langfristige Zeiträume geht, dass das Aufweichen starrer Denkschablonen und eingefahrener Verhaltensmuster bei den Konfliktparteien oft nur zögerlich und schrittweise erfolgen kann und dass der Weg zum Frieden mit mannigfaltigen Hindernissen und Rückschlägen gepflastert ist. Gleichzeitig wird ersichtlich: Frieden wird, wie auch der Krieg, von Menschen gemacht. Und zwar nicht nur von vermeintlich unerreichbaren Ausnahmepersönlichkeiten wie Gandhi oder Martin Luther King, sondern von ganz normalen Menschen. Dass die hier vorgestellten "Friedensmacher" wirklich als Menschen aus Fleisch und Blut erscheinen, liegt neben der präzisen Beobachtungsgabe der Autoren auch an der von ihnen zumeist beiläufig in die Reportagen eingeflochtenen persönlichen Lebensgeschichte und Motivation der Akteure.
Nimmt man die von Johan Galtung formulierten Anforderungen an einen Friedensjournalismus als Analyseschablone, so erfüllen diese Reportagen etliche wichtige Kriterien: sie sind durch und durch menschenorientiert, sie humanisieren alle Seiten, sie thematisieren die sichtbaren und unsichtbaren Kriegsfolge, sie sind lösungsorientiert und weisen kreative Wege in eine friedlichere Zukunft. Was diese Texte nicht leisten können, ist eine grundlegende Einführung in die jeweiligen Konflikte zu geben. Die Hintergründe der Konflikte werden zumeist nur sehr knapp gestreift, die Komplexität des gesamten Geschehens ist für einen unkundigen Leser oftmals nur zu erahnen. Allerdings wären die Reportagen mit einem diesbezüglich weiterreichenden Anspruch auch überfrachtet. Die Stücke wollen ja ganz bewusst nur bestimmte, von den Medien normalerweise stark vernachlässigte Teilaspekte der Konfliktwirklichkeit in den Blickpunkt rücken. In diesem Sinne können solche Reportagen einen wichtigen Baustein im Rahmen einer friedensorientierten Berichterstattung darstellen. Selbstverständlich wird es daneben weiterhin Erklärstücke geben müssen, die den Konflikthintergrund ausleuchten. Und natürlich wird auch in Zukunft Berichterstattung über die Äußerungen führender Politiker oder über aktuelle Kampfhandlungen und die neueste Zahl der Getöteten vonnöten sein. In Frage gestellt werden sollte jedoch das Ungleichgewicht in der Darstellung von Elite-Personen und Non-Elite-Personen sowie zwischen eskalationsorientierten und deeskalationsorientierten Akteuren.
Den elf Reportagen hat der Koordinator von Peace Counts, Michael Gleich, zwei weitere Artikel angefügt. Im ersten Artikel werden in Form von zehn Thesen die zentralen Eigenschaften und Fertigkeiten von "Friedensstiftern" benannt, die sich aus den Recherchen der Reporter von Peace Counts extrahieren lassen. Der zweite Artikel "Peace Economis - Wie sich Frieden auszahlt" will nachweisen, dass sich friedliche Formen der Konfliktaustragung gegenüber kriegerischen Auseinandersetzungen auch wirtschaftlich rentieren. Bei diesem an und für sich löblichen Unterfangen wird dann jedoch die höchst zweifelhafte These vertreten, dass der Bosnienkonflikt auf vergleichsweise billige Art hätte verhindert werden können: indem man nämlich Anfang der 90er-Jahre dort vier Jahre lang eine 200.000 Mann starke internationale Friedenstruppe stationiert hätte. Dies hätte nur 33 Mrd. Dollar gekostet anstelle der für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe realiter ausgegebenen 53 Mrd. Dollar. Abgesehen von der Fragwürdigkeit des Rechenexempels, das der von Gleich hierbei zitierten Studie zugrunde liegt (inwiefern zum Beispiel Kosten für die Ausbildung und Grundausrüstung einer solchen Friedenstruppe mit einbezogen wurden, bleibt unklar), konterkariert diese These vollkommen sämtliche Erkenntnisse über Deeskalations- und Friedensprozesse, die in den vorangegangenen Porträts der Friedensmacher zum Ausdruck gebracht werden.
Dieses Exkurses unbenommen stellen die elf Reportagen aber zweifelsohne ein gelungenes Beispiel für eine Spielart friedensorientierter Berichterstattung dar. Dass die Reportagen vor der Buchveröffentlichung allesamt in Mainstreammedien erschienen waren, zeigt, dass solche Stücke bei guter Qualität auch durchaus marktfähig sind.
Darüber hinaus stellen die Reportagen noch in anderer Hinsicht eine wichtige Anregung für die Weiterentwicklung friedensjournalistischer Konzepte dar, namentlich in Bezug auf das in der einschlägigen Literatur bislang vernachlässigte Thema der Friedensfotografie. Die reichhaltige und großformatige Bebilderung der Reportagen spielt für den Eindruck, welchen der Leser von den Geschehnissen erhält, eine bedeutende Rolle. Auf der beiliegenden CD-ROM werden denn auch mögliche "Prinzipien der Friedensfotografie" vorgestellt - ein Anstoß insbesondere für Fotojournalisten, aber auch für diesbezügliche Forschung. Die vom Institut für Friedenspädagogik Tübingen erstellte CD-ROM lohnt auch ansonsten einen genaueren Blick. Neben Hintergrundmaterial zu ausgewählten Konflikten finden sich dort noch weitere Informationen zum Thema Friedensjournalismus.

Burkhard Bläsi

 

     
 

Über den Autor: Burkhard Bläsi, Dipl.-Psych., geb. 1973, Studium der Psychologie und Soziologie an der Universität Konstanz und der University of Bath/UK. Forschungsinteressen: gewaltfreie Konfliktbearbeitung; Konflikt und Medien. Von 2001-2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz; Dissertation zum Thema Konstruktive Konfliktberichterstattung und Medienrealität. Seit September 2005 Tätigkeit an der Schulpsychologischen Beratungsstelle Aalen.

Adresse: eMail: burkhard.blaesi@web.de

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