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Wilhelm Kempf
Zwei Experimente zur deeskalationsorientierten Berichterstattung über
Nachkriegskonflikte
Kriegsberichterstattung
hat einen starken Bias in Richtung auf Polarisierung der Konfliktparteien,
Feindbildkonstruktion und Konflikteskalation. In abgeschwächter Form
lebt dieser Bias oft über das Ende des Krieges hinaus fort und verzerrt
auch noch die Nachkriegsberichterstattung. Selbst nach Kriegsende ist
es nur eine Minderheit der Journalisten, welche in einer mehr deeskalations-
oder versöhnungsorientierten Weise berichten. Haben sie eine Chance,
die Öffentlichkeit zu erreichen? Werden ihre Berichte vom Publikum
als ausgewogener und weniger verzerrt gewürdigt? Haben Sie einen
Einfluss auf die mentalen Modelle, nach welchen das Publikum den Konflikt
interpretiert? Oder hält das Publikum an Vorurteilen fest und lehnt
Zeitungsartikel ab, die nicht den Feindbildern entsprechen, die sich während
des Krieges entwickelt haben?
Die vorliegende Arbeit untersucht diese Fragen in Form von zwei experimentellen
Studien.
Im ersten Experiment wurden n=128 Probanden (repräsentativ für
die Leserschaft der deutschen Qualitätspresse) Zeitungsartikel über
3 Ereignisse im früheren Jugoslawien nach dem Sturz Miloevics
vorgelegt: (1) gewalttätige Übergriffe in Süd-Serbien (Dezember
2000), (2) die Auslieferung Milosevics an Den Haag (Juni 2001) und (3)
der Staatsvertrag zwischen Serbien und Montenegro (März 2003). Zu
jedem dieser Ereignisse wurden vier verschiedene Arten von Artikeln benutzt:
moderat eskalationsorientierte Artikel von prestigeträchtigen Deutschen
Zeitungen (Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung,
Süddeutsche Zeitung) und 3 Varianten dieser Artikel, (a) mit
verstärkt eskalationsorientiertem Framing, (b) mit moderat deeskalationsorientiertem
Framing und (c) mit stärker deeskalationsorientiertem Framing der
Ereignisse.
Jeder Proband musste jeweils einen Artikel zu jedem der drei Ereignisse
in chronologischer Reihenfolge lesen und nach jedem Artikel (a) die berichteten
Ereignisse in seinen eigenen Worten nacherzählen und (b) einen Fragebogen
ausfüllen, der messen sollte, inwieweit der Artikel als unverzerrt,
ausgeglichen, interessant etc. akzeptiert wurde. Die mentalen Modelle
nach welchen die Probanden die Ereignisse interpretierten wurden mittels
quantitativer Inhaltsanalyse aus ihren Nacherzählungen abgeleitet.
Im zweiten Experiment wurde nur die Akzeptanz der Artikel gemessen, aber
nicht ihr Einfluss auf die mentalen Modelle der Leser. Ansonsten wurden
der gleiche Versuchsaufbau und die gleichen Instrumente benutzt, allerdings
mit gewissen Modifikationen: Die Originalartikel stammten von eine Österreichischen
Regionalzeitung (Vorarlberger Nachrichten) und die Versuchspersonengruppe
(N=126) wurde aus deren Leserschaft rekrutiert. Die Berichte über
den Staatsvertrag zwischen Serbien und Montenegro wurden durch Berichte
über Kostunicas Reaktion auf Rugovas Sieg in den Kosovo-Wahlen (November
2000) ersetzt, und die stärker deeskalationsorientierten Textversionen
wurden durch eskalationsorientierte Varianten mit umgekehrter Parteilichkeit
(pro Serbien) ersetzt.
Die Ergebnisse der Studien sprechen zugunsten des Projekts Friedensjournalismus.
Deeskalationsorientierte Zeitungsartikel wurden niemals weniger akzeptiert
als die anderen Textversionen.
Bei dem Textmaterial aus der Qualitätspresse und ihrer Leserschaft
wurden sie sogar eher akzeptiert und resultierten in weniger stark polarisierten
mentalen Modellen.
Bei dem Textmaterial aus der Provinzpresse und ihrer Leserschaft konnte
kein Unterschied bezüglich der Akzeptanz der verschiedenen Textversionen
gefunden werden. Die Befunde deuten zudem darauf hin, dass das provinzielle
Publikum sich weniger für die post-jugoslawischen Angelegenheiten
interessierte und von traditionellen Einflussfaktoren der Nachrichten
wie Personalisierung und Negativität stärker beeinflusst wurde.
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Zum Autor:
Wilhelm Kempf, seit 1977 Professor für Psychologische Methodenlehre
und Leiter der Projektgruppe Friedensforschung an der Universität
Konstanz. Arbeitsschwerpunkte: Gewaltfreie Konfliktlösungen, Konstruktion
sozialer Wirklichkeit durch die Massenmedien. Veröffentlichungen
u.a.: Konflikt und Gewalt (Münster: agenda, 2000); Los Medios y la
Cultura de Paz (mit Sonia Gutiérrez Villalobos, Berlin: regener,
2001); Journalism and the New World Order. Vol. II. Studying War and the
Media(mit Heikki Luostarinen, Göteborg: Nordicom, 2002); Constructive
Conflict Coverage (herausgegeben vom Austrian Study Center for Peace and
Conflict Resolution, Berlin: regener, 2003)
Adresse: Fachbereich
Psychologie, Universität Konstanz (www.uni-konstanz.de),
D-78457 Konstanz. eMail: Wilhelm.Kempf@uni-konstanz.de
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